Schrittlektionen

Text und Bilder: Silvia Ochsenreiter-Egli

In der Ausgabe des Magazins 02/2021 (Mitgliedschaft - Islandpferde-Vereinigung (ipvch.ch) haben wir uns mit dem Thema Schritt, eine unterschätzte Gangart, beschäftigt und nun möchte ich für euch das Ganze gerne vertiefen. Dazu werden in weiteren Artikeln die Lektionen Schenkelweichen und der am meisten genutzte Seitengang Schulterherein gegenübergestellt und verschiedene Übungen für das Reiten sowohl im Viereck als auch im Gelände erklärt.

Jeder interessierte Reiter stösst früher oder später auf die Schwierigkeiten, welche sich im Erarbeiten der korrekten Seitengänge (Achtung: Schenkelweichen ist kein klassischer Seitengang, sondern eine gymnastizierende Übung) ergeben.

Zu den oben genannten Lektionen gibt es verschiedenste Theorien, doch möchte ich im Folgenden nur darauf eingehen, wie ich persönlich Schenkelweichen und Schulterherein erarbeite und unterrichte. Wir betrachten die Ausführung dieser zwei Lektionen im Schritt. Für die höheren Gangarten ist ein grosses Mass an Geschick des Reiters und Rittigkeit des Pferdes nötig. Ausserdem ist es sinnvoll, alle Lektionen erst im Schritt zu erarbeiten, bevor wir sie (wie das Schulterherein) beispielsweise im Trab, Tölt oder auch Galopp nutzen.

Zunächst einmal werfen wir einen kurzen Blick auf die Skala der Ausbildung.

Hier beginnt alles mit dem Takt, auf den die Losgelassenheit folgt. Anlehnung lässt Schwung entwickeln und nur so können wir das Pferd geraderichten und letztendlich versammeln.

In den meisten Fällen stockt die Ausbildung von Pferd und Reiter bereits bei dem Thema Anlehnung. Unter diesem wichtigen Begriff verstehen wir, dass das Pferd energisch mit aktiv und gerade nach vorne fussender Hinterhand vertrauensvoll an die Reiterhand herantritt und sich letztendlich vom Gebiss abstösst. Dafür ist die Mobilisation der sogenannten Beugerkette (siehe auch vorheriger Artikel im Magazin) nötig. Dies ermöglicht dem Pferderücken sich aufzuwölben. Das Pferd kann nun mit einer langen (konvexen) Oberlinie und einem daraus resultierenden lockeren Unterhals ehrlich an die Reiterhand herantreten. Der Rücken des so gerittenen Pferdes ist geschmeidig und lässt den Reiter sitzen. Wer das schon einmal fühlen durfte, wird sehr genau verstehen, warum der geschmeidige Rücken des Pferdes das primär anzustrebende Ziel eines jeden Reiters sein sollte.

Die einzelnen Phasen der Skala der Ausbildung dürfen jedoch nicht isoliert voneinander betrachten werden, sondern bedingen und ergänzen sich gegenseitig. Ein faires und gesund erhaltendes Training bedeutet auch, dass keine Abkürzungen auf dem Weg bis zur Versammlung genommen werden dürfen, um Zeit zu sparen. Ein Pferd, welches nicht alle Stufen der Skala erfolgreich durchlaufen hat, wird sich nicht korrekt versammeln lassen. Wird die Versammlung durch den Reiter erzwungen, kann das Pferd im schlimmsten Fall sowohl physisch als auch psychisch Schaden nehmen.

Doch kommen wir zurück zum Thema Schrittarbeit. Jeder Reiter kennt das Phänomen, dass sein Pferd beispielsweise auf der linken Hand den Zirkel gross und scheinbar mühelos läuft, aber auf der rechten Hand über die innere Schulter fällt und sich auch nicht ohne weiteres nach rechts im Genick abstellen lässt. Die Ursache hierfür ist die natürliche, jedem Pferd angeborene, Schiefe. Eine Körperseite ist vermehrt gedehnt und die andere verkürzt. Man kennt hierzu in der Reitersprache die Begriffe hohle und steife Seite. Die natürliche Schiefe ist bei Pferden unterschiedlich stark ausgeprägt, stellt sich aber immer gleich dar: Das Pferd schiebt auf der hohlen (verkürzten) Seite seine Hinterhand nach innen und den Rumpf nach aussen, das innere Hinterbein fusst an der Spur des inneren Vorderbeines vorbei. Dadurch werden die Gliedmassen unregelmässig belastet.

Umgekehrt hat der Reiter auf der steifen Seite das Gefühl, das Pferd sei «hart im Maul» und legt sich vermehrt auf das Gebiss. Der Zirkel wird tendenziell zu klein und das Pferd biegt sich schlechter um den inneren Schenkel des Reiters. Es fällt auf die innere Schulter und die Hinterhand hat die Tendenz vom Schwerpunkt weg nach aussen auszuweichen.

Bei der Korrektur der natürlichen Schiefe kommen nun gymnastizierende Übungen, wie Schenkelweichen und erste versammelnde Seitengänge wie Schulterherein, ins Spiel.

Beginnen wir mit dem Schenkelweichen: Schenkelweichen ist eine lösende Übung, bei der das Pferd entgegen der Bewegungsrichtung gestellt wird und im Körper gerade bleiben muss. Es bewegt sich vorwärts seitwärts und sowohl die Vorderbeine als auch die Hinterbeine überkreuzen. Der Reiter muss hierbei geschickt fühlen, wann das innere Hinterbein den Boden verlässt, um durch vermehrtes Anlegen der Wade am Bauch (in der Nähe des Sattelgurtes) und vermehrt belastetem inneren Gesässknochen in diesem Moment das überkreuzende (innere) Hinterbein zu mobilisieren. Gleichzeitig liegt der äussere (verwahrende) Schenkel leicht hinter dem Gurt und begrenzt das äussere Hinterbein. Der innere Zügel sorgt für die nötige Genickstellung und lockert mit leichten halben Paraden das Maul. Der äussere Zügel begrenzt die Abstellung des Genicks und sorgt dafür, dass das Pferd im Hals gerade bleibt.

Fehlerquellen gibt es viele. Am häufigsten sehe ich Reiter, die den Hals des Pferdes zu stark nach innen ziehen und somit geht u.a. die vorwärts-seitwärts Energie verloren. Die Hinterhand fällt aus, der erwünschte 45 Grad Winkel kann nicht eingehalten werden.

Oftmals knickt der Reiter auch in der Hüfte ein und versucht das Pferd vor sich her bzw. unter sich wegzuschieben.

Meiner Erfahrung nach sind die meisten Reiter beim Schenkelweichen zu aktiv mit Bein (Wade) und Hand. Sie verkomplizieren somit für ihr Pferd die Situation enorm. Es erhält nicht die Möglichkeit, auf einzelne, fein aufeinander abgestimmte Hilfen zu reagieren und stumpft nach und nach mehr ab.

Hierbei kann es hilfreich sein, wenn eine versierte Person vom Boden aus Pferd und Reiter unterstützt. So bekommt der Reiter ein besseres Gefühl dafür, wie sich seitliches Übertreten anfühlt. Korrekt ausgeführtes Schenkelweichen fördert die Koordination und die Aufmerksamkeit von Pferd und Reiter. Es ist der gute Beginn, um das Zusammenwirken der Hilfen zu üben und zu lernen, die äusseren Hilfen korrekt einzusetzen.

Tipp:

Vermeide vor Übereifer das Pferd endlos lange Strecken weichen zu lassen. Ein paar gut ausgeführte Tritte auf jeder Hand sind vollkommen ausreichend. Wichtig hierbei ist, dass das Pferd wartet, bis es die Hilfen bekommt und nicht schon aus Gewohnheit und Routine quasi von selbst beginnt. Dies kann passieren, wenn der Reiter z.B. zu häufig auf dem Viereck immer an derselben Stelle das Schenkelweichen übt. Abwechslung ist hier die halbe Miete. Eine tolle Übung ist beispielsweise das Pferd nach ein paar Tritten Schenkelweichen energisch geradeaus zu reiten um es dann erneut dem anderen Schenkel weichen zu lassen. Nach gut ausgeführter Lektion das Pferd unbedingt loben und gegebenenfalls auch den Hals etwas dehnen lassen. (Treiben und leichten Zügelkontakt nicht vergessen!).

Schenkelweichen kann fast überall geritten werden. Beim Ausreiten hilft anfangs ein begrenzender Zaun als gedachte Bande oder eine Hecke. Die Schenkelweichen «Profis» unter euch können z.B. ihr Pferd seitwärts über Stangen oder kleinere Baumstämme weichen lassen. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt und ihr werdet sehen, dass ihr nach und nach feiner und müheloser mit eurem Pferd kommunizieren könnt.

Gegner des Schenkelweichens kritisieren, das Pferd lerne, am Körperschwerpunkt vorbei zu treten und nehme keine Last mit der Hinterhand auf. Zur Lastaufnahme ist diese Lektion auch nicht geeignet. Aber sie führt wie oben bereits erwähnt Pferd und Reiter an die «höheren» Lektionen heran und verbessert gut geritten die Durchlässigkeit und das Zusammenwirken der Hilfen.

Einfach zusammengefasst würde ich sagen: Besser ein gut und sauber gerittenes Schenkelweichen, als ein falsch ausgeführtes Schulterherein.

Im nächsten Artikel werden wir das Schulter- herein genauer unter die Lupe nehmen.

Bis dahin, viel Spass beim Üben und stets Freude beim Reiten!

Auf diesen Bildern sieht man, wie Melina Goril mit Dásemd das Schenkelweichen übt und welche Schrittabfolge dabei entsteht.

Schenkelweichen erfordert viel Konzentration von Pferd und Reiter.

Melina Goril mit Dásemd

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